Norwegen
Meine erste Reise in den Norden führte mich im Sommer 1990 nach Norwegen. Mein guter Schulfreund Martin schwärmte damals von taghellen Nächten, die er mit seinen Eltern jeweils in den Sommerferien mit dem eigenen Campingbus erleben durfte, den frei herumlaufenden Rentieren mitten auf der Strasse und den süssen orangen Moltebeeren gleich daneben. Nun wollte er, nachdem er die RS als Radfahrer absolviert hatte, mit dem Velo durch Norwegens Norden bis ans Nord-Kap fahren. Da wir beide sowieso nebst der Schulbank ständig auch gerne die Freizeit zusammen verbrachten, animierte er mich dazu, mitzukommen.
Ich hatte grossen Respekt vor Martins radlerischer Kondition nach der anstrengenden RS, also beschloss ich, mich ebenfalls topfit für diese grosse Velotour zu machen. Ich kaufte mir günstig einen zusätzlichen hinteren Gepäckträger für vorne(!), zwei Paar Lowriders, jeweils für vorne und hinten, vier gute Velotaschen dazu und befüllte diese mit Cheminée-Holz als Ballast von Vaters Dépendance im Jura. So fuhr ich jeweils an den Freitagabenden ca. 59km von Basel in die Ajoie und am Sonntagabend wieder zurück nach Hause.
Über Pfingsten wollten wir im Massstab 1:1 eine kleine 4-tägige Tour über Saignelégier und durchs schöne Baselland machen, mit Vollpackung, um zu schauen, ob wir die richtige Ausrüstung dabeihatten und so auch im Sommer ans Nord-Kap fahren konnten. Kurz vor Zwingen konnte ich dank dem regen Freitag-Feierabend-Verkehr nicht mehr rechtzeitig einem Schlagloch ausweichen und als Resultat ist mir am hinteren Gepäckträger eine schwache Schweissnaht gebrochen. Mist…! So konnte ich nicht mehr weiterfahren. Zum Glück fanden wir in Zwingen einen Velomacher, der gerade nach Hause gehen wollte und wir konnten ihn dazu überreden, meinen Gepäckträger notdürftig zu reparieren. Das war mir eine wichtige Lehre: niemals an der Qualität der Ausrüstung zu sparen. Ich kaufte mir dann alle Gepäckträger hinten und vorne sowie alle Low-Roders neu: Und zwar die von der US-Marke Blackburn, die teuersten die’s auf dem Markt gab. Und die leben sogar noch heute! Es gilt seitdem: «just the best is good enough»…
Im Sommer 1990 packten wir unsere Velos und der ganze andere Krempel zum Campieren ein und flogen nach Bodø, Nordnorwegen, Provinz Nordland. Im Flughafen packten wir alles aus, bauten unsere Velos zusammen, fuhren zum Campingplatz und leisteten uns ein paar feine Brathähnchen zum Znacht, mit denen wir uns für die erste Etappe Richtung Norden stärken wollten.
Leider bekam Martin sein Poulet nicht so besonders und er verbrachte den ersten Tag auf dem Klo und war dann zwei Tage krank. Somit hatten wir bereits die Hälfte unserer Ruhetage verbraucht und mussten uns eine Strategie überlegen, wie wir die verlorenen Tage wieder wett machen konnten. Wir entschieden uns, am besten direkt auf der Schnellstrasse E6 weiterzufahren. Das war aber eine ganz blöde Idee, denn: im Wald kurz vor dem nächsten Campingplatz kam direkt vor uns ein Bus entgegen, welcher von einem Auto überholt wurde, das selbst auch noch von einem weiteren Auto überholt wurde…!!! Wir mussten notfallmässig in den Graben springen, sonst hätte uns das zweite Auto frontal erwischt! Danach hatten wir keinen Bock mehr auf die E6 und entschieden, keinen Meter weiter auf der gefährlichen Raserstrasse weiterzufahren, sondern besser auf weniger befahrenen Nebenstrassen entlang der Küste. Das hatte aber einen gravierenden Nachteil, denn um eine Luftlinie von wenigen km Richtung Norden zu schaffen, mussten wir immer wieder 10-20km von der Küste her einem Fjord entlang ins Landesinnere folgen, bis es am Ende des Fjords irgendwann über eine Brücke auf die andere Seite ging, und dort wieder zurück zur Küste… So kämen wir ja nie am Kap – unserem designierten Reiseziel – an. Somit mussten wir immer wieder mal ein ausgewähltes, landschaftlich eher langweiliges Teilstück mit der Hurtigruten-Fähre abkürzen und konnten so am Ende nicht nur das Nord-Kap erreichen, sondern auch noch die verlorenen Ruhetage wieder wettmachen.
Das Wetter war auf der ganzen Reise recht wechselhaft, ja wie bei uns im April, und unsere Chancen auf ein Nord-Kap-Siegerposen-Foto bei schönem Wetter schwand, je näher wir kamen. In Russenes, also zweit Tages-Etappen (ca. 114km) vor dem Kap, begrüsste uns am Morgen das Wetter von seiner strahlendsten Seite, mit blauem Himmel, ohne ein Wölkchen und wir beschlossen die 101km bis zum Campingplatz in Honningsvåg knallhart, mit nur ganz kleinen Pausen, durchzufahren! Am Nordkap-Campingplatz haben wir um ca. 21 Uhr dann das Zelt aufgestellt, uns eine stärkende Suppe gekocht und sind um 23 Uhr ohne Gepäck noch das letzte, 13km lange Teilstück bis zum Kap-Felsen gefahren. Dort konnten wir dann bei heller Mitternachtssonne das verdiente Nord-Kap-Siegerposen-Foto mit dem Velo machen… Schön hat das so gut geklappt, denn am nächsten und den folgenden Tagen war wieder Schauer, Nebel und garstiges Schietwetter angesagt. Die Heimreise versüssten wir uns mit der Hurtigruten-Fähre über einen kurzen Zwischenstopp auf den schönen Lofoten…
Im Juli 2015 bin ich dann mit meiner Familie nochmals in Norwegen unterwegs gewesen. Mit dem Auto sind wir von Reinach über Dänemark nach Oslo gefahren, mit je einer Übernachtung auf dem Campingplatz in Gammel Albo (DK) am Lille Belt und bei einer Bekannten in Malmö. Dann weiter in kleinen Tagesetappen von Campingplatz zu Campingplatz bis zum Geirangerfjord und anschliessend in drei Tagen (resp. Monster-Etappen) wieder zurück nach Hause. Auf dieser Reise bekam der Ausdruck «Sommerfrische» eine ganz neue Bedeutung…